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Titel
Gute Arbeit Handarbeit?. Altes Handwerk, DIY und Geschlechterverhältnisse in den Medien


Autor(en)
Schaaf, Franziska
Reihe
Kulturen der Gesellschaft
Anzahl Seiten
348 S.
Preis
€ 45,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Reinhild Kreis, Historisches Seminar, Universität Siegen

Wer in den letzten Jahren eine Bahnhofsbuchhandlung betreten, Internet-Blogs gelesen oder die Debatten über Baumärkte während der Corona-Pandemie verfolgt hat, weiß: Handwerkliches Selbermachen und Handarbeiten boomen. Es sind längst nicht mehr nur biedere Familienväter und -mütter oder Angehörige des alternativen Milieus, die heimwerken, nähen und stricken. Vielmehr gelten Handwerk und Handarbeit(en) bei breiten Schichten der Bevölkerung als „in“ und als interessant, und zwar sowohl als aktiv ausgeübte Tätigkeiten wie auch als Thema medialer Berichterstattung in Print, Fernsehen und Internet.

Franziska Schaaf untersucht in ihrer Dissertation die medialen Diskurse rund um Handarbeit und Handwerk zwischen den 1990er- und 2010er-Jahren. Entstanden im Promotionskolleg „Die Arbeit und ihre Subjekte“ an der Universität Duisburg-Essen, liegt Schaafs Erkenntnisinteresse auf der Diskursanalyse. Im Zentrum ihrer soziologisch und medienwissenschaftlich informierten literaturwissenschaftlichen Dissertation steht die Frage, warum Handwerker:innen – insbesondere in traditionellen Tätigkeitsbereichen – so positiv dargestellt werden, inwiefern „das ‚alte Handwerk‘ […] als ‚gute Arbeit‘“ (S. 15) gilt und welche Geschlechterverhältnisse in den medialen Diskursen rund um Handarbeiten und -werken erzeugt werden. Ihr geht es um die Deutungsmuster, die durch eine Feinanalyse ausgewählter Diskursfragmente sichtbar werden, um die in den Medien erhobenen Forderungen sowie um die Subjektpositionen, die in den Diskursen erzeugt und angeboten werden.

Die Studie liefert einen Beitrag zu arbeits- und geschlechtersoziologischen Fragen, die auch für die historische Forschung zu gewandelten Arbeitswelten, Terminologien, Geschlechterverhältnissen und Diskursarenen interessant sind. In einem geschichtswissenschaftlichen Rezensionsforum gilt es dennoch ausdrücklich zu betonen, dass es sich um die Besprechung einer Untersuchung an der Schnittstelle von Literatur- und Medienwissenschaft handelt, die auf Anschluss- und Erkenntnismöglichkeiten für die Geschichtswissenschaft befragt werden soll.

In einem umfangreichen ersten Teil werden Begriffe, theoretische und methodische Ansätze vorgestellt. Schaaf analysiert die ausgewählten Diskursfragmente aus Printmedien, Fernsehsendungen und Internet-Blogs mithilfe der Software MAXQDA und mit den theoretischen Ansätzen der Interdiskurstheorie sowie der wissenssoziologischen Diskurstheorie. Zu einem strukturierenden Element der Studie wird insbesondere die Unterscheidung zwischen verschiedenen Spezialdiskursen und den sie vermittelnden, nicht-wissenschaftlichen Interdiskursen.

Im ersten inhaltlichen Kapitel werden zunächst Diskursfragmente der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) und Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) analysiert. Die hier herausgearbeiteten Deutungen, Forderungen, Arbeits- und Geschlechterverhältnisse sollen als Grundgerüst für die darauffolgende vertiefte Analyse der drei dominanten Deutungsmuster dienen. Die Auswahl von FAZ/FAS wird nicht näher begründet. Es steht jedoch zu vermuten, dass die digitale Verfüg- und Auswertbarkeit der Zeitung eine Rolle gespielt hat. Hier zeigt sich exemplarisch ein grundsätzliches Problem für die Geistes- und Sozialwissenschaften: Bevorzugt untersucht wird, was digitalisiert ist, während nicht-digitalisierte Quellenbestände und damit auch die dort vertretenen Positionen in den Hintergrund treten oder gar ganz verschwinden. Denn auch wenn Schaaf angibt, die Porträts von Handwerker:innen in FAZ und FAS unterschieden sich nicht grundsätzlich von denen in anderen Tageszeitungen (vgl. S. 97), so bliebe dies doch zunächst zu belegen. Ganz nachvollziehbar ist es also nicht, warum der Rahmen der Untersuchung durch eine einzige Tageszeitung gesetzt wird, die über den ganzen Untersuchungsraum hinweg untersucht werden kann und somit als Norm gilt.

Die drei auf diese Weise ermittelten Deutungsmuster sind: 1. Handwerk als kulturelles Erbe, 2. Handwerken als Form kreativer Selbstverwirklichung sowie 3. Handwerken als Therapie. Die Ergebnisse der kontrastierend-vergleichenden intensiven Analyse sind aufschlussreich und machen auf Nuancierungen, Verschiebungen, Akzentuierungen sowie Auslassungen im Diskurs aufmerksam. Tabellarische Übersichten zeigen die Unterschiede und Ähnlichkeiten der verhandelten Subjektpositionen, Affekte, Forderungen, Wissensgrundlagen der handwerklichen Tätigkeit und Narrative im Zeitverlauf schlagwortartig auf. So wich die noch in den 1990er-Jahren omnipräsente Sorge vor dem Niedergang und dem Verschwinden des traditionellen Handwerks nur wenige Jahre später dem Narrativ einer Renaissance solcher Tätigkeiten und der heute vorherrschenden Sichtweise auf Handwerken und Handarbeiten als einer Modeerscheinung.

Als medial konstruierte Subjektpositionen ermittelt Schaaf verschiedene – stark gegenderte – Subjektpositionen: den „alten, bodenständigen Handwerker“, die „Retter:innen des alten Handwerks“, die „DIY-Unternehmerin“, „Hobby-Handarbeiter:innen“, „Künstler-Handwerker:innen“ sowie das durch DIY-Tätigkeiten „erfolgreich therapierte Subjekt“ (S. 298). Diese Subjektpositionen sind jeweils verknüpft mit spezifischen Affekten (etwa Bodenständigkeit oder Leidenschaft für eine bestimmte Tätigkeit), in charakteristische Zeitordnungen eingebunden und stehen für eine bestimmte Form des Wissenserwerbs. Zudem schreibt Schaaf ihnen je einen unterscheidbaren Status zu, beispielsweise als „souveränes Subjekt“ im Falle des Handwerkers oder des „glaubwürdigen Subjekts“, als das DIY-Unternehmerinnen und Hobby-Handarbeiter:innen gezeichnet werden.

Die Narrative und Subjektpositionen gehen, wie Schaaf zeigen kann, von unterschiedlichen Arbeitsbegriffen aus. Die Diskursanalyse zeigt dabei, dass die Einordnung von Handwerk und Handarbeit als Arbeit oder Nicht-Arbeit sowohl Zuschreibungen wie auch Selbstbeschreibungen entspringt und dass auch die Vorstellungen dessen, was „gute Arbeit“ ausmacht, unterschiedlich gelagert sind. Schaaf betont – leider nur auf der Basis veralteter begriffsgeschichtlicher Arbeiten1 – bereits zu Beginn der Studie, dass in den letzten Jahren das enge Verständnis von Arbeit als Erwerbsarbeit ins Wanken geraten ist und heutige Arbeitsbegriffe auch unbezahlte, nicht vertraglich geregelte Tätigkeiten wie Haus- oder Sorgearbeit einschließen. Doch was bedeutet diese Feststellung für das Thema der Studie jenseits der Beobachtung, dass Handwerken und -arbeiten anschlussfähig an unterschiedliche Arbeitsbegriffe sind? Eine Deutung liefert die Studie nicht. Zudem wäre zu fragen, warum auf der Analyseebene dennoch stets von „Nicht-Arbeit“ statt von „Nicht-Erwerbstätigkeit“ die Rede ist.

Die Studie fokussiert ganz auf die intensive Diskursanalyse ausgewählter Text- und Filmpassagen. Sie werden als gegeben betrachtet, ihr Zustandekommen sowie ihre Rezeption bleiben explizit außen vor, ebenso die jeweils herrschenden Arbeitsmodelle und Branchenkonjunkturen der Welt jenseits medialer Darstellungen. Aus diskursanalytischer und literaturwissenschaftlicher Sicht ist dies konsequent, aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive aber etwas bedauerlich, denn die im Buch aufgeworfene Frage nach dem Erfolg des Genres und den Gründen für die Faszination mit Handwerk und Handarbeit als zeittypisches Phänomen des Untersuchungszeitraums kann eben nicht oder lediglich teilweise beantwortet werden, wenn die Analyse immanent bleibt.

Die mit „Genealogie“ betitelten Abschnitte deuten die historischen Bezüge zumindest an. Sie stehen am Ende eines jeden Kapitels zu den drei großen Deutungsmustern und verweisen auf ältere Diskurse, in denen Handwerk und Handarbeit als kulturelles Erbe, Selbstverwirklichung oder Therapie thematisiert wurden. Während die Annahme durchaus überzeugt, dass viele Medienbeiträge der 1990er- bis 2010er-Jahre an solche älteren Diskurse anknüpfen, so muss dies im Detail eine Vermutung bleiben. Der Begriff der Genealogie suggeriert zwar eine Herkunftsgeschichte der aktuellen Diskurse und Schaaf spricht davon, „Vorstellungen, Erzählformen, Topoi und Inszenierungsweisen aus wissenschaftlichen Spezialdiskursen“ ließen sich in den Medienbeiträgen „wiederfinden“ (S. 51), seien diesen also zeitlich vorgelagert. Doch Belege dafür gibt es kaum, zumal die Auswahl der knapp skizzierten älteren Deutungsmuster kaum begründet wird. So bleibt es bei der zwar interessanten, aber auch etwas vagen Beobachtung von Parallelen und Ähnlichkeiten zwischen älteren und jüngeren Diskursen, eine zeitlich einordnende Deutung steht also noch aus.

Den Leser:innen wird bei der Lektüre einiges abverlangt, das Buch ist eher spröde geschrieben, zumal der Lesefluss etwas unter den inflationär eingesetzten Anführungszeichen leidet, die Geschlechter, Arbeitsbegriffe, Narrative und Subjektpositionen als Konstrukte kennzeichnen sollen. Die Studie demonstriert jedoch das Potenzial einer softwaregestützten, feinmaschigen Diskursanalyse, um ein Phänomen wie die Popularität von Handwerks- und Handarbeitsdarstellungen in den Medien differenziert aufzufächern. Eine solche Untersuchung lag bisher weder für ältere noch für gegenwartsbezogene Auseinandersetzungen mit Handwerk und Handarbeiten vor. Für Historiker:innen sind nicht zuletzt die mit den verschiedenen Narrativen und Subjektpositionen verbundenen Vorstellungen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft aufschlussreich, ebenso die – hier nicht so genannten – Ansätze einer invention of tradition über die Hinwendung zu „alten“ Handwerks- und Handarbeitspraktiken.

Anmerkung:
1 Als neuere Publikation wäre insbesondere zu nennen: Jörn Leonhard / Willibald Steinmetz (Hrsg.), Semantiken von Arbeit. Diachrone und vergleichende Perspektiven, Köln 2016; rezensiert von Tobias Gerstung, in: H-Soz-Kult, 04.11.2016, https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-23766 (15.05.2023).